Der Computer als Arzt? Künstliche Intelligenz in der Medizin

Werden wir in Zukunft statt von ÄrztInnen von Robotern mit Künstlicher Intelligenz behandelt? Wenn man die Schlagzeilen in den Medien liest, könnte das fast so scheinen. Was dahinter steckt, und was heute bereits möglich ist, darauf geht unser aktueller Blogbeitrag ein.

Der Computer als Arzt? Künstliche Intelligenz in der Medizin

Seit das amerikanische Unternehmen OpenAI einen intelligenten Chatbot veröffentlicht hat, ist Künstliche Intelligenz (KI) in aller Munde: Schüler schreiben ihre Hausaufgaben mit dem Chatbot, in Büros werden Präsentationen mit Hilfe von KI erstellt, und Bilder werden von KI Graphik Programmen gestaltet. Die Versprechungen dieser neuen Technologie sind vielfältig, und besonders im Bereich der Medizin herrschen große Erwartungen: wird man in Zukunft vielleicht mit einem Computer sprechen, statt einen Arzt aufzusuchen, wenn man krank ist? Wir wollen uns ein wenig ansehen, was heute schon möglich ist, und wohin die Reise geht.

Am weitesten fortgeschritten und auch am breitesten im praktischen Einsatz in der Medizin ist KI bei sogenannten bildgebende Verfahren, also Untersuchungsmethoden, wo am Ende ein Bild zur Beurteilung durch einen Arzt kommt: Die häufigste praktische Einbindung findet sich in der Radiologie (Röntgenuntersuchungen). Hier unterstützt KI bereits heute die behandelnden ÄrztInnen, indem sie die Bilder voranalysiert und die Aufmerksamkeit des Untersuchers auf Abweichungen von normalen Bildern lenkt bzw. bereits diagnostische Vorschläge macht. Bei Verfahren mit hohen Datenmengen (z.B. Computertomographie) ist das eine beträchtliche Arbeitserleichterung und spart Zeit, bei manchmal schwer zu interpretierenden Ergebnissen wie in der Brustkrebsdiagnose wird in Studien dadurch auch die Genauigkeit erhöht.  Das Problem bei diesen KI Anwendungen ist allerdings, dass man sie vor dem Einsatz mit sehr großen Mengen an Bildern, die von Fachleuten beurteilt wurden, trainieren muss. Ein weiteres praktisches Problem stellt die Einbindung in die von Kliniken verwendeten Informationssysteme dar, speziell wenn für verschiedene Fragestellungen Systeme von unterschiedlichen Anbietern zum Einsatz kommen. 

Der große Sprung, der diesbezüglich in der Forschung gerade passiert, sind Programme, die sich selbst trainieren können. In experimentellen Studien können solche Systeme nicht nur die gängigen diagnostischen Fragestellungen beantworten, sondern teilweise sogar die Weiterentwicklung der Krankheit bei einzelnen PatientInnen vorhersagen. Wenn in der Zukunft solche Verfahren einmal in die medizinische Routine Einzug nehmen sollten, wird das für ÄrztInnen und PatientInnen gleichermaßen den Aufwand und die Zahl an notwendigen Untersuchungen verringern.

Nicht nur wirtschaftlich hoch entwickelte Länder können von KI in der Medizin profitieren. Eine der ältesten Plagen der Menschheit ist die Lepra (Aussatz), eine Erkrankung, die bereits in der Bibel beschrieben wird, und die langfristig zu Verstümmelung und sozialer Isolation führt. Wenn sie rechtzeitig erkannt wird, kann Lepra heute einfach mit Antibiotika behandelt werden, da die Ursache eine bakterielle Infektion ist. Leider tritt Lepra allerdings gehäuft in von Armut betroffenen Regionen der Welt auf, wo die medizinische Versorgung nicht ausreichend ist. 

Eine amerikanische Softwarefirma hat deshalb ein Projekt entwickelt, wo in einkommensschwachen Ländern mobile KrankenpflegerInnen vor Ort mit dem Mobiltelefon Aufnahmen von verdächtigen Hautveränderungen machen können, und eine KI stellt fest, ob es sich um beginnende Lepra handelt. Dann können die PatientInnen rasch einer medikamentösen Behandlung zugeführt werden.  

Ein weiterer Bereich, wo sich Medizin, Technik und KI überschneiden, betrifft Prothesen für Personen, die Teile oder ganze Gliedmaßen verloren haben. KI unterstützt hier die Bewegungsabläufe, von der Steuerung von Greiffunktionen bei Armprothesen bis zu Optimierung des Bewegungs- und Abrollablaufes bei Beinprothesen. Ein nächster Entwicklungsschritt werden Prothesen sein, mit denen man auch fühlen kann, also heiß / kalt bzw. hart / weich wahrnehmen. Auch wenn eine Prothese nicht den verlorenen Körperteil ersetzen kann, so wird doch durch KI vieles leichter, was vorher unmöglich erschien.

Wenn man eine Erkrankung diagnostiziert hat, geht es an die Behandlung. Vor allem in der Krebstherapie muss die Behandlung sehr individuell angepasst werden, in Abhängigkeit von Tumoreigenschaften und dem Zustand der PatientInnen. Um die ÄrtInnen hier zu unterstützen, gibt es bereits experimentelle Ansätze von KI, welche den Behandlungsteams Vorschläge anhand der neuesten wissenschaftlichen Daten machen. Auch bei der Entwicklung von neuen Arzneimitteln kommt KI zum Einsatz: Mit KI ist es möglich, tausende von chemischen Verbindungen in kürzester Zeit auf einen potentiellen Nutzen für neue Erkrankungen zu analysieren. Dabei werden oft Daten aus früheren Studien durch die KI in einem neuen Zusammenhang analysiert und neue Behandlungsansätze erstellt.  Auch für die Entwicklung von gänzlich neuen Substanzen hat die KI große Fortschritte gebracht. Die dafür wichtige dreidimensionale Darstellung menschlicher Eiweißmoleküle war früher ein jahrelanger Prozess, sie kann nun mittels KI in kurzer Zeit durchgeführt werden, und so Substanzen mit möglicher Wirksamkeit gefunden werden.

Ein ganz anderer Blickwinkel, wie KI die Medizin verändern wird, ist die Patientenbetreuung. Wir alle kennen das: ÄrztInnen sprechen zwar mit uns, aber ihre Augen sind auf den Computer gerichtet, wo sie alles, was wir über unsere Erkrankung berichten, eintragen. Mittlerweile gibt es Bemühungen, Software zu entwickeln, um dieses Problem zu lösen: dabei spricht der Arzt frei mit dem Patienten, das Gespräch wird vom Computer aufgenommen, von Sprachsoftware in Text übersetzt und gespeichert. In weiteren Schritten kann man sich dann vorstellen, dass eine KI daraus einen Eintrag in die Krankengeschichte schreibt, vielleicht sogar Rezepte erstellt. Noch sind diese Anwendungen in Entwicklung, aber die Hoffnung besteht, dass ÄrztInnen zumindest von Teilen des Verwaltungsaufwandes befreit werden und sich wieder mehr den PatientInnen widmen können.

Bei allen diesen aufregenden neuen Entwicklungen sollte man nicht übersehen, dass Gesundheitsdaten hochsensibel sind und vor Missbrauch geschützt werden müssen. Vor dem breiten Einsatz dieser neuen Methoden werden die Hersteller den Behörden und der Öffentlichkeit durch klare Prozesse beweisen müssen, dass die Sicherheit und der Zugang zu solchen Daten eindeutig geregelt sind.  Erst dann wird ein Einsatz dieser Systeme über experimentelle Studien hinaus möglich sein.

Müssen wir uns also darauf einstellen, in Zukunft von Computern oder Robotern behandelt zu werden, anstatt von menschlichen ÄrztInnen? Ganz im Gegenteil! Wir können uns erwarten, dass es den ÄrztInnen schneller und besser möglich sein wird, herauszufinden, was uns fehlt, und dass sich die uns behandelnden ÄrztInnen wieder mehr Zeit nehmen können um unsere Anliegen und Probleme mit uns zu besprechen. Wir stehen am Anfang dieser Entwicklung, und es wird spannend für uns alle, welche Möglichkeiten sich uns hier in den nächsten Jahren erschließen werden!

Vorstellung des Autors

Dr. med. Wolfgang Bonitz

Dr. Wolfgang Bonitz ist Mediziner und hat seine Berufslaufbahn im Bereich der Forschung und Entwicklung bei einem großen Pharmakonzern verbracht. Heute engagiert er sich für wissenschaftliche Fortbildung und soziale Anliegen.

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